Ungarn

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H: Zwischen Paprika und Jugendstil

 U: Eine Reise in das südliche Ungarn von Transdanubien bis zur Tiefebene

 Von Rudolf Stumberger

 
Man sieht es schon von weitem. “
Étterem„, so steht es in knallroten Lettern auf dem Schild an der Dorfstraße. Für mich die Aufforderung, den Bremshebel zu drücken. Denn mein Magen knurrt und „Étterem“ heisst „Restaurant“. Und das ist eines der wenigen Wörter, die man auf einem Ungarn-Trip kennen sollte. Wie vielleicht noch „benzinkut“ für Tankstelle und „köszönöm“ für Danke. Der Rest der Sprache ist in der Regel für unsere Zungen sowieso unaussprechbar. Das macht aber nichts. Man kommt auch so ganz gut durch. Durch dieses weite Land mit seinen riesigen Sonnenblumenfeldern, dem unendlich blauen Himmel, langgezogenen Straßendörfern und freundlichen Menschen. Rund drei Tage dauert die Fahrt durch das südliche Ungarn, von der grünen Hügellandschaft an der Grenze zu Österreich bis zur Tiefebene im Osten, der Puszta. Dazwischen liegen verschlafene Dörfer mit Storchennestern auf den Telefonmasten und lebendige Städte mit historischen Fassaden. Und auf wenig befahrenen Straßen kann der Motorradfahrer Wind, Sonne und Landschaft erleben.

 

Das Städtchen Körmend ist der Ausgangspunkt der Reise. Wer hier durchfährt, kommt wahrscheinlich von der 30 Kilometer entfernten Grenze aus Graz, dem Verkehrsknotenpunkt im Südosten Österreichs. Nahe ist der Balaton-See, das ungarische Meer, wie das große, aber flache Gewässer auch genannt wird. Doch wir lassen diesen touristischen Massenversammlungsort erstmals links liegen und fahren hinab Richtung Süden, in den wenig bekannten Teil das Magyarenlandes. Körmend selbst gibt einen ersten Eindruck von ungarischen Städten: Wenig Hektik, etliche historische Gebäude, teilweise renoviert, dazwischen moderne Architektur. Das Städtchen bietet dem Tourenfahrer das ehemalige Wasserschloss Batthyány und historische Bauernhäuser zur Besichtigung an, es eignet sich als günstiger Übernachtungspunkt auf der Fahrt von oder nach Österreich.

 

Auf einer sehr schön geschwungenen, wenig befahrenen Straßen brummt mein Motorrad den Asphalt entlang in Richtung Nagykanizsa. Rechts und links fliegen die Felder mit Weizen und Mais vorbei, oben am blauen Himmel stehen ein paar kleine weiße Wolken wie Wattebäuschchen und rühren sich nicht. Nagykanizsa ist eine kleine Stadt, deren Namen ähnlich unaussprechlich ist wie die der anderen Städte, die noch kommen werden. Im Zentrum spenden die Bäume eines grünen Parks Schatten und ein weitläufiger Parkplatz lädt zu einer Pause ein. Als ich den Zündschlüssel abziehe, dröhnt ein gewaltiges Donnern von der Hauptsstraße herüber: Die motorsportbegeisterten Ungarn veranstalten an diesem Tag einen Zweiradparcour und alles was einen Motor und zwei Räder hat, röhrt mit. Als ich meinen Fotoapparat zücke, ist das ein Signal für kollektives lustvolles Gasgeben und Händerecken. Vorneweg fährt ein Polizist mit seiner offiziellen Maschine.

 

Kaposvár mit seinen 80.000 Einwohnern ist die nächste Stadt auf der Tour. Fährt man durch die Vororte, sieht man ein neues Merkmal ungarischer Städte: Nach der politischen Wende wurden in den 1990-er Jahren auf der grünen Wiese riesige Supermärkte mit ebenso riesigen Parkplätzen erbaut. Mit den Reklametafeln sieht das manchmal amerikanischer als in Amerika aus. Aber hier gibt es auch die von uns alle 300 Kilometer so dringend benötigten „benzinkuts“ – die Tankstellen. Die sind inzwischen zahlreich, modern und man kann mit Scheckkarten zahlen. Fährt man durch die Innenstadt, macht sich allerdings auch ein altes Merkmal ungarischer Städte bemerkbar: Die Löcher im Asphalt und die hervorstehenden Kanalisationsdeckel. Beide sollte man tunlichst mit seiner Maschine umfahren.

 

Örtliche Rennstrecke

 

Hinter Kaposvár beginnt eine der interessantesten Strecken der Tour: Durch die hügelige Landschaft des Bezirks Somogy. Inmitten saftiger Wiesen stehen weiße Kühe mit langen Hörnern, an grünen Berghängen kleben kleine Kapellen, die Dörfer sind eingebettet in gelbe Weizenfelder. Der Motorradfahrer vor mir fährt über eine Kuppe und verschwindet in einem Tal, fährt wieder hinauf auf die Kuppe und wieder ins Tal – die Straße hier gleicht dem gewellten Rücken der Schlange von Loch Ness. Kurz vor Pécs  - „Fünfkirchen“ – das Ziel der ersten Tagesetappe, geht es munter bergauf und die Straße wird zweispurig. Wer hier an einem Wochenende vorbeikommt, ist mit seinem Zweirad allerdings nicht alleine: Die Bergstraße gilt als die Hausrennstrecke der Motocyclisten aus Pécs und diese röhren auch schon mal auf nur einem Rad dahin. Treffpunkt der „Rennfahrer“ ist das Café vor der Kuppe und der Feind ist die Polizei, die dem Treiben äußerst skeptisch gegenübersteht, wie mir ein Suzuki-Fahrer erzählt.

 

Schließlich Pécs: Mit 175.000 Einwohnern die größte Stadt Westungarns mit südlichem Flair und einem regen Kulturleben. Hier lässt es sich in den schattigen Straßen der Altstadt die Beine vertreten und man sollte dieser Stadt zumindest eine Übernachtung gönnen.  Der deutschsprachige Name Fünfkirchen leitet sich von fünf unterirdischen Grabkapellen aus der Zeit der Römer ab, Domkirche und Domplatz nahe der westlichen Stadtmauer sind einige der touristischen Sehenswürdigkeiten. Andere lassen sich beim Flanieren in der Fußgängerzone entdecken, zum Beispiel Brunnen und Fassaden in der Art des ungarischen Jugendstils, eine besonders verspielte Variante dieser Baumode der Jahrhundertwende. Vom zentralen Széchenyi-Platz ausgehend, lassen sich die zahlreichen Restaurants und Kneipen erkunden, kann man in ehrwürdigen Cafés einen Marillenschnaps („Pálinka“) schlürfen oder einen süßen Pfannkuchen („Palacsinta“) verschlingen.

 

Fahrt mit der Fähre

 

Mit der zweiten Tagesetappe verlassen wir Transdanubien – das Land westlich der Donau. Entlang einer Fernwärmeleitung geht es aus Pécs hinaus in Richtung Mohács – einem Örtchen an der Donau. Mohács ist bekannt durch ein für die Ungarn weitreichendes historisches Ereignis – hier siegte das türkische Heer 1526 über König Ludwig II. Jagiello und leitete damit die 150 Jahre dauernde Herrschaft der Osmanen ein. Heute macht Mohács einen eher verschlafenen Eindruck, aber von hier geht die Fähre über die Donau ab. Etliche Kilometer flussaufwärts gibt es zwar eine Brücke, aber warum sollte man sich das kleine Abenteuer des Übersetzens entgehen lassen. Die Fahrt kostet etwas mehr als einen Euro und dauert gerade mal drei Minuten, bis man am anderen Ufer wieder von der Fähre rollt. Auf dieser Seite der Donau lädt auch ein schattiges Flussrestaurant zum Mittagessen ein – man sollte natürlich die paprikarote Fischsuppe („Halászlé“) probieren.

 

Es ist ein kleines, kaum befahrenes Nebensträßchen, das uns durch eine fruchtbare Flusslandschaft mit Schilf und Wassertümpeln in die beschauliche, einstmals reiche Kleinstadt Baja mit ihrem weitläufigen Hauptplatz bringt, hier findet sich auch die erwähnte Donaubrücke. Die Stadt ist unser Tor in das Alföld – die große Tiefebene östlich der Donau mit ihren schier endlos erscheinenden Getreide- und Sonnenblumenfeldern. Hier werden die Straßen immer geradliniger und scheinen sich wie in den USA flimmernd am Horizont zu verlieren. Hier reihen sich in den Dörfern kleine Häuschen längs der Straße entlang und auf den Betonmasten der Licht- und Telefonleitungen sitzen Störche in ihren Nestern. Hier scharren ein paar Hühner im Straßenstaub und ansonsten herrscht Stille. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein.

 

Südliche Gelassenheit

 

Szeged ist das Ziel unserer Fahrt durch den Alföld – das Zentrum der südlichen Tiefebene mit rund 160.000 Einwohnern. Es war die Theiß – Schicksalsstrom der Stadt – die mit ihrem Hochwasser 1879 das alte Szeged untergehen ließ. Innerhalb weniger Jahre entstand eine „Stadt auf dem Reißbrett“ mit breiten Straßen und weitläufigen Grünanlagen. Der ungarische Jugendstil manifestiert sich hier eigenwillig wie im Palais Reök und die Universität ehrt mit einem berühmten Glockenspiel ihre Honoratioren. Szeged ist eine freundliche Stadt zum Entdecken und Flanieren, auch bekannt für ihre Salami und den Paprika, im Sommer locken überdies diverse Festspiele. Eine südliche Gelassenheit lädt den Motorradfahrer zum Verweilen ein.

 

Wer noch in einer weiteren Etappe die Tiefebene erkunden will, kann dies über kleine Nebenstraßen entlang der rumänischen Grenze bis hinauf nach Gyula tun.  Die kleine Kurstadt lässt sich mit ihrer gewaltigen Ziegelburg aus dem 15. Jahrhundert als Endpunkt der südlichen Ungarn-Tour anvisieren. Aber man kann auch von Szeged aus in der Umgebung die Puszta entdecken. Etwa das 30 Kilometer entfernte Städtchen Makó mit seinem „Zwiebeltheater“. In Makó, so heisst es in Ungarn, sollen die besten Zwiebeln und Knoblauchzehen wachsen. Hier pflegt auch ein Oldtimer-Verein sein Hobby und für die Fahrt durch die Steppe lädt mich Vereinsmitglied Istvan Szilágyi in seinen Original-Duna-Beiwagen ein. Die Fahrt geht, an Knoblauchfeldern vorbei, zur historische Wehrkirche aus dem 15. Jahrhundert in dem Dörfchen Óföldeak wenige Kilometer nördlich von Makó. Und natürlich darf bei einer Fahrt wie dieser das Essen nicht zu kurz kommen. Wer richtige Puszta-Atmosphäre schnuppern will, der sollte sein Bike zu der Gaststätte „Igási Koccintó“ lenken. Hier herrscht Koch Arpad Batik über einen gewaltigen Backofen, in dem seine berühmten Kohlrouladen schmoren. Wenn sich so Paprika und Pálinka, blauer Himmel und weite Weizenfelder, Knoblauchduft und das Vibrieren des Motorrads vermischen, dann ist man in Südungarn.