Kloster

 
 

“Ich habe hier alles”

Unter dem Dach des Franziskanerordens proben Ordensleute und Laien eine neue Form von geschwisterlich-geistlichem Miteinander

AltehrwĂŒrdig und mĂ€chtig sind die Mauern des Franziskanerklosters
im oberbayerischen Ingolstadt. Seit 725 Jahren dienten sie den OrdensbrĂŒdern als StĂ€tte des Betens und Arbeitens. Dies ist auch heute noch so, doch seit gut drei Jahren ist neues Leben in das Kloster inmitten der historischen Innenstadt eingezogen: Geistlich-geschwisterliche Gemeinschaft nennt sich ein Modellprojekt der Franziskaner, bei dem MĂ€nner und Frauen, Geistliche und Laien unter einem Dach zusammen leben und arbeiten. Ein einzigartiger Versuch neuer geistiger Lebensformen, abgesegnet vom Papst und den Oberen des MĂ€nnerordens.

 

Eva Kell ist 32 Jahre jung und Musizieren ist eines ihrer Hobbys. In ihrem Zimmer im ersten Stock des Klosters stehen eine Posaune, eine Trompete und eine Gitarre in einer Ecke, daneben der NotenstĂ€nder. Viele grĂŒne Topfpflanzen zieren den Raum und der Blick aus dem Fenster geht hinab auf den Klostergarten. „Ich fĂŒhle mich hier sehr wohl“, sagt die junge Frau, die beruflich als Mentor Theologiestudenten in der nahen UniversitĂ€t betreut. Sie ist eine der drei Laien hier im Kloster, wie die 31-jĂ€hrige Gemeindereferentin Lucia und der 29-jĂ€hrige Sozialarbeiter Martin.

 

Zu den WohnrĂ€umen des Klosters gelangt man ĂŒber eine breite Steintreppe und der Weg fĂŒhrt vorbei an dem mĂ€chtigen alten ÖlgemĂ€lde der Heiligen Walburga, freilich ihres Zeichens nach eine Benediktinerin.  Oben, im langen Flur des Wohntraktes weicht die ansonsten eher ernste KlosteratmosphĂ€re freundlichen, lebendigen Farben. Mit hellem Blau sind die TĂŒren der einzelnen Zimmer verziert und die WĂ€nde in einem aufmunternden Gelb gestrichen. So, als wollten die Bewohner dem Neuen in diesen alten Mauern auch einen farblichen Ausdruck verleihen. Und ist auch die Kutte von Pater Josef noch immer im traditionellen Braun gehalten, so meint er: „Wenn es geht, bin ich lieber in Zivil unterwegs.“ Der 46-jĂ€hrige, großgewachsen und mit einem verschmitzten LĂ€cheln unter den starken BrillenglĂ€sern, ist der geistliche „Hausobere“. Er trĂ€gt das Ordensgewand wie Bruder Maximilian, Bruder Michael und Schwester Conrada, die mit ihm hier im IngolstĂ€dter Kloster leben und arbeiten.

 

Wie kommt man auf die Idee, sein Leben zumindest teilweise im Kloster zu verbringen und sich dieser geistlich-geschwisterlichen Gemeinschaft anzuschließen? „Ich fand das ein sehr interessantes Experiment miteinander neue Wege des Zusammenlebens zu finden“, erzĂ€hlt Eva Kell von ihrem Entschluss. Aus einer religiösen Familie kommend, hat sie in MĂŒnchen Theologie studiert und ist ĂŒber die Jugendpastoralarbeit mit den Franziskanern in Kontakt gekommen. Und dann hat sich die Gelegenheit ergeben, hier in der 80 Kilometer von MĂŒnchen entfernten Stadt der Autobauer („Audi“) eine neue Lebensform auszuprobieren. Wobei sich einiges vom „normalen“ Leben draußen unterscheidet, anderes nicht (zumindest fĂŒr die Laien). So werfen zum Beispiel die Klosterbewohner ihre Einkommen in einen gemeinsamen Topf und zahlen sich daraus ein monatliches Taschengeld von 50 Euro.  Bei grĂ¶ĂŸeren Anschaffungen wird mehr entnommen. „Das gab aber noch nie Probleme“, sagt Eva Kell und „ich habe hier alles, was ich brauche!“ Ihr Tag im Kloster beginnt um 6.30 Uhr mit dem gemeinsamen Gebet in der Hauskapelle. Dann fĂ€hrt sie zu ihrem Job in die nahe UniversitĂ€tsstadt EichstĂ€tt. Um 18 Uhr treffen sich alle zum Abendgebet und danach setzen sie sich oft im eigens eingerichteten Wohnzimmer zusammen – fĂŒr GesprĂ€che, Brettspiele oder zum Fernsehen. „Das ist hier wie eine große Familie“, erzĂ€hlt die Klosterbewohnerin. Es gibt auch GĂ€ste im Haus, die fĂŒr mehrere Tage oder Wochen hierher kommen um zu meditieren oder einfach am Leben teilzunehmen. Vergangenen Sommer haben sie gemeinsam etliche RĂ€ume des Klosters renoviert. „Da war ich nur noch mit der Bohrmaschine unterwegs“, erinnert sich schmunzelnd die 32-JĂ€hrige.

 

Am Ende des Wohnflurs fĂŒhrt eine zweite Treppe wieder hinab ins Erdgeschoss. Oben am Treppenansatz hĂ€ngt noch immer die kleine schwarze Glocke, mit der die Patres zum Essen gerufen wurden. Die neuen Bewohner des Klosters haben unter die Glocke ein Windspiel aus hohlen Metallröhren angebracht. „Das klingt lieblicher“, sagt Eva Kell. Gegessen aber wird wie eh und je gemeinsam im Refektorium, einem weitlĂ€ufigen hohen Raum mit Stuck an der Decke und einer Marienfigur an der Wand. Heute gibt es Eierflaumsuppe und Nudeln mit Lachs zum Mittag. Und so versammeln sich die Padres, Schwester Conrada und die Laien um den großen hölzernen Esstisch und sprechen gemeinsam das Tischgebet. Danach wird wĂ€hrend der Mahlzeit ĂŒber dies und das geplaudert, wie in einer großen Familie eben.

 

FĂŒr Pater Josef bedeutet das Zusammenleben mit Laien und natĂŒrlich auch Frauen eine große Herausforderung. Seit gut 20 Jahren gehört er dem Franziskanerorden an, ein Orden, in dem „man viel auf Wanderschaft ist und der sich der Armut verschrieben hat“, wie der 46-JĂ€hrige erklĂ€rt. In der zum Kloster gehörenden Franziskanerbasilika liest er die Messe und weiß: „Am Sonntag kommen die Suchenden und die Zweifelnden.“ FĂŒr sie stellt das Kloster und die Klosterkirche eine Art Zuflucht dar, wenn die Heimatpfarrei aus welchen GrĂŒnden auch immer zu eng werden sollte. Denn eine gewisse Offenheit zeichnet eben diesen Orden aus, der  mit den Worten von Pater Josef nicht auf starre Regeln fixiert ist, sondern in dem es möglich ist darĂŒber nachzudenken, „wie man das Leben fĂŒr uns heute definiert“. Als sehr lehrreich beschreibt er die bisherigen Jahre in der geistlich-geschwisterlichen Gemeinschaft. Eine seiner Erfahrungen: „Frauen bringen eine andere Dynamik mit sich.“ Eine gelebte SpiritualitĂ€t habe immer sehr viel mit den Menschen um einen herum zu tun.

 

FĂŒr Eva Kell steht im Mittelpunkt dieses Zusammenlebens der spannende Prozess, wie man miteinander Wege des Lebens finden kann. Und natĂŒrlich taucht immer wieder von Außenstehenden die Frage nach einer Partnerschaft auf und inwiefern dies innerhalb der Klostermauern möglich ist. Nein, das sei kein Problem, sagt sie, wenn einer der Laien einen Freund oder eine Freundin mitbrĂ€chte. Und man habe auch schon ĂŒberlegt, ob nicht auch Familien mit Kindern hier leben könnten. Sie selbst lebt derzeit in keiner Partnerschaft.

 

Neue Wege in alten Klostermauern: Die IngolstĂ€dter Franziskaner proben eine geistig an Franz von Assisi orientierte Form des Zusammenlebens, die auch eine spirituelle Antwort auf BedrĂ€ngnisse des heutigen modernen Lebens sein will. Und lĂ€ngst bildet die Gruppe der Sieben keine isolierte Insel mehr in der Industriestadt mit ihren rund 110.000 Einwohnern. Einen Nebenraum des Kloster haben sie zur „Oase der Stille“ umgebaut: Ein meditativer Raum, der den Passanten in der Innenstadt die Möglichkeit zur Einkehr und zum RĂŒckzug aus der Alltagshektik bietet - die TĂŒre ist immer offen. Und in den Kellergewölben des Klosters, denen immer noch die Nutzung als ehemaliger Luftschutzkeller anzusehen ist, ĂŒbt eine Musikgruppe und niemand stört es hier unten wenn es mal lauter wird. GegenĂŒber der Klosterpforte wurde ein Raum der „IngolstĂ€dter Tafel“ zur VerfĂŒgung gestellt, dort können sich BedĂŒrftige kostenlos mit Lebensmitteln eindecken. Und der Speicher des weitlĂ€ufigen GebĂ€udes wurde zu einer BegegnungsstĂ€tte fĂŒr Jugendliche umgebaut, mit GĂ€stezimmern und WohnrĂ€umen. So ist das Kloster vom Keller bis zum Dach mit neuem Leben erfĂŒllt und an der Gemeinschaft nehmen neben dem „harten Kern“ Jugendliche und Reisende, Suchende und Fragende teil. Eva Kell jedenfalls kann sich vorstellen, „in diesem lebendigen Haus, in dem sich auch viel Ă€ndert“, noch weitere drei Jahre oder lĂ€nger zu wohnen und zu leben. Und ihr Mitbewohner Pater Josef  hat einen Traum: Dass sich die Lebensgemeinschaft, die noch am finanziellen Tropf des Ordens hĂ€ngt, eines Tages soweit emanzipiert, das sie unabhĂ€ngig wird, ohne ihren spirituellen Anspruch aufzugeben.    

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