Hochhaus

 

 

Die Welt 29. August 2001 Bayern:

"Man muss wissen, wo man hingehört"

Einwurf in der Hochhaus-Debatte: Eine Studie aus Frankfurt plädiert für die Beibehaltung des Münchner Stadtbildes

Von Rudolf Stumberger

Hochhäuser in München - das Thema erregt seit längerem die politischen Gemüter. Den Anstoß gab Alt-OB Georg Kronawitter, der seiner "SPD im Höhenrausch" die Leviten las und per Bürgerentscheid die Münchner Silhouette vor neuen Wolkenkratzern bewahren wollte.

Schützenhilfe für Kronawitter kommt jetzt - ausgerechnet - aus "Mainhattan". "Hochhäuser in Deutschland. Zukunft oder Ruin der Städte?" heißt eine Studie der Frankfurter Soziologieprofessorin Marianne Rodenstein, die die unterschiedlichen Entwicklungen in Frankfurt und München untersuchte. Fazit: Weil wir erst am Anfang von umfangreichen Umwälzungen im wirtschaftlichen Bereich stehen (Stichwort Neue Informationsgesellschaft) und die Menschen immer flexibler auf neue Anforderungen reagieren müssen, sind soziale und kulturelle Bezugspunkte wichtig. Dazu gehört auch das Gesicht einer Stadt. Im 21. Jahrhundert sollten sich die Städte deshalb mehr am Münchner denn am Frankfurter Weg orientieren.

Dieser "Frankfurter Weg" ist in der Mainmetropole augenfällig: Futuristisch zeichnet sich die Skyline der Bankentürme am Horizont ab. Der Hochhausbau setzte ab den 70er Jahren ein, als man damit in der Innenstadt die Nachfrage nach neuen Büroräumen lösen wollte - hatten doch Großbanken wie die Dresdner und die Deutsche Bank ihren Sitz in Frankfurt. Die "Nicht-über-meine-Kirchturmspitzen-Politik" wurde in dieser Zeit aufgegeben, die neuen Bauhöhen lagen über der 95-Meter-Marke des Doms. Im Bankenviertel wuchsen die Türme in die Höhe: Die Chase-Manhattan-Bank (114 Meter), die Hessische Landesbank (127 Meter), die Bank für Gemeinwirtschaft, heute Eurotower (148 Meter) und die Dresdner Bank (166 Meter). Ein Grund für dieses Turm-Wachstum lag auch in der reformorientierten Politik des Frankfurter Magistrats: Man setzte auf wirtschaftliches Wachstum um dann über die Gewerbesteuer Infrastruktureinrichtungen wie U-Bahn oder Kindertagesstätten zu finanzieren. Dieses Ziel wurde auch erreicht: Die Zahl der Arbeitsplätze stieg vor allem im Bankenviertel an.

In den 90er Jahren kamen neue Hochhäuser wie das Japan-Center oder die Commerz-Bank hinzu, die Skyline von "Mainhattan" steht nun symbolisch für den Bankenplatz Frankfurt und für wirtschaftliche Prosperität. Die Stadt selbst aber profitierte nur teilweise von dieser Entwicklung: Bei täglich fast 300.000 Einpendlern, die tagsüber in den Bürotürmen verschwinden und abends in die Region zurückfahren, werden mindestens 60 Prozent der in Frankfurt verdienten Gehälter und Löhne im Umland versteuert. "Bitter und lehrreich ist die Frankfurter Erfahrung", so die Studie, dass man selbst als Finanzplatz mit Skyline und Hochhäusern aus dieser Stadt nicht eine Metropole mit dem weltstädtischen Ambiente Manhattans machen konnte.

Ist in Frankfurt seit 1949 der Hochhausbau politisch gewollt, so ging man hier in München andere Wege. Die Silhouette der Landeshauptstadt ist geprägt von Gebäuden mittlerer Höhe, die von zahlreichen Kirchtürmen überragt werden. In einer Mischung aus High-Tech und heiler Welt hatten bisher Hochhäuser nicht die symbolische Bedeutung von Wirtschaftskraft und Dynamik. Für den Wiederaufbau nach 1945, als mehr als zwei Drittel der Innenstadt zerstört waren, setzte man auf eine Mischung aus Tradition und Fortschritt und erkannte früh die Bedeutung des Stadtbildes für den Fremdenverkehr: "Wir müssen uns klar sein, daß nur das Münchnerische als charakteristisches Lebenselement München wieder zum Anziehungspunkt für den internationalen Fremdenverkehr machen kann", so Stadtbaurat Karl Meitinger 1946.

Trotz der konservativen Grundstimmung einer "Hochhausfeindlichkeit" wurde auch in München in der Nachkriegszeit eine Reihe von Hochhäusern gebaut - allerdings nicht höher als die Frauentürme und mit respektvollem Abstand zur Innenstadt: 1957 etwa das Agfa-Hochhaus in Giesing oder 1961 das Siemens Hochhaus in Solln. 1972 schließlich wird das BMW-Hochhaus in Milbertshofen fertiggestellt und 1981 das Hypo-Hochhaus im Arabellapark - beide mit 100 bzw. 114 Metern höher als die Frauenkirche. Doch "aufgrund ihrer Standorte sowie vor allem auch wegen ihrer herausragenden architektonischen Qualität waren sie aber nie ernsthaft umstritten", so das Fazit von Stadtplaner Lutz Hoffmann in der Studie. Eine neue Dimension des Bauens aber stellt nun das spektakuläre Projekt des "Garden-Tower" am Georg-Brauchle-Ring dar, das mit einer Höhe von 146 Metern alle bisherigen Maße sprengt. Auch eine Höhe von über 200 Meter war schon in der Diskussion. Der von dem Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven entworfene Büroturm wurde bereits 1998 genehmigt, doch im Mai diesen Jahres wurde ein veränderter Bauantrag eingereicht. Modifiziert wurde die Fassade und auch der Dachabschluss, der nun zwei Meter höher als vorgesehen ist. Die Stadtplanungskommission hat dem neuen Entwurf bereits zugestimmt, das Bauvorhaben steht - so das Stadtplanungsamt - vor der Genehmigung. Auch für das Langenscheidt-Hochhaus im Norden soll die Baugenehmigung noch diesen Herbst erteilt werden. Vorgeschaltet ist noch die Bürgerbefragung im Stadtbezirk, da für die geplanten 121 Meter Turmhöhe der bisher geltende Bebauungsplan geändert werden muss.

So stehen die Stadtentwicklungen von München und Frankfurt für zwei grundsätzliche unterschiedliche Umgangsformen mit dem Stadtbild - und die Frankfurter Stadtsoziologin Rodenstein lässt keinen Zweifel daran, welcher sie den Vorzug gibt. Angesichts der Globalisierung, der Ortlosigkeit des Internets, der Verwechselbarkeit der Fußgängerzonen in deutschen Städten setzt sie auf feste Bezugspunkte: "Um in der ganzen Welt zu Hause zu sein, muss man wissen, wo man hingehört."

 

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