Gebaute Ideologie

 

 

Unsichtbare Volksmassen

Eine Tagung zur «gebauten Ideologie» im Münchner Haus der Kunst

Hat Bauen etwas mit Moral zu tun? Etwa wenn zeitgenössische Stararchitekten wie Zaha Hadid, Herzog & de Meuron, Jean Nouvel oder Rem Koolhaas, in autoritä¤r regierten Ländern wie China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten ganze Städte, Fernsehsender oder Luxushotels errichten? Dass die Welt des Bauens jedenfalls sehr viel mit der Welt der Ideen zu tun hat, bestätigt der Blick auf eine gotische Kathedrale. Der Begriff der «gebauten Ideologie» meint zunchst also nicht anderes als zu Stein gewordene politische, religiöse oder wirtschaftliche Ideen.

Architektur und Diktatur

 Spezieller wird der Begriff der Ideologie freilich gebraucht in Hinsicht auf totalitäre Regime wie etwa den Nationalsozialismus. Diese suchten den Ausdruck ihrer «Ideen» in Monumentalbauten, und nicht wenige bedeutende Architekten erlagen der Anziehungskraft der Mächtigen. So wird die Rolle des Bauhaus-Architekten Mies van der Rohe im Dritten Reich als zwischen Anbiederung und Verfolgung beurteilt. Le Corbusier wiederum suchte in den 1940er Jahren die Nähe des Vichy-Regimes in Frankreich, in der Hoffnung, seine städteplanerischen Visionen verwirklichen zu kännen. Seit den dreissiger Jahren beschäftigte er sich mit Plännen für den totalen Umbau von Algier. 1941 flog er nach Algerien und überarbeitete seine ursprünglichen Skizzen, die dann allerdings im Juni 1942 von den örtlichen Behörden zurückgewiesen wurden. Le Corbusier versuchte daraufhin vergeblich, die Petain-Regierung von seinen Plänen zu überzeugen.

 Anders als das von Le Corbusier erträumte Algier ist Nordkoreas Hauptstadt Pjongjang eine zu Stein gewordene Ideologie - vor allem die des «Geliebten Führers » Kim Jong Il. So jedenfalls lautete die Botschaft einer Delegation aus der nordkoreanischen Volksrepublik am vergangenen Donnerstag auf einer Tagung über «gebaute Ideologie» im «Haus der Kunst» in München. Das 1937 unter dem Nationalsozialismus errichtete Museum wollte zum 70. Jahrestag seiner Eröffnung den Umgang mit Bauten, denen totalitäre Ideen zugrunde liegen, thematisieren. Der Vortrag von Jong Myong Ho, Chefarchitekt der Architekturakademie in Pjongjang, war eingebettet zwischen Vorträge über die Baupläne der Nationalsozialisten in München und über die Architektur Oscar Niemeyers in Brasilien und eine Diskussion mit den Architekten Rem Koolhaas und Jacques Herzog.

 Die nordkoreanische Delegation liess bei ihrem Vortrag ein wenig volkskommunistische Authentizität spüren: «Wir sind hier, um die nordkoreanische Architektur zu präsentieren, und nicht, um Fragen zu beantworten», lautete die barsche Replik auf eine Frage aus dem Publikum nach Armut und Hunger in Nordkorea. Diese nordkoreanische Architektur freilich blieb bis auf ein konkretes Beispiel auf theoretische Postulate beschränkt. Etwa, dass der Inhalt der Architektur «sozialistisch» und ihre Form «national» sei. Im Mittelpunkt stünden die «Volksmassen», deren «geistig-ästhetische Ansprüche» durch eine Architektur befriedigt würden, welche sich durch die qualitativen Attribute der «Bequemlichkeit, Attraktivität, Schönheit und Stabilität» auszeichne. Wichtigster Massstab des Bauwerkes sei dessen «plastische Schönheit». Hier wäre wohl ein vertiefter interkultureller Austausch nötig gewesen. Ohne diesen aber konnte man in den Postulaten nur Leerformeln erkennen.

 Moderner Aufbau sei das Ziel der Stadtplanung von Pjongjang gewesen, teilte der Vortragende mit. Dieser Aufbau sei im Rahmen eines Gesamtplanes von 1950 durchgeführt worden, und sein zentrales Moment sei die Bronzestatue des (verstorbenen) Präsidenten Kim Il Sung. Von den oft zitierten Volksmassen selbst war im weiteren Vortrag nichts zu sehen und zu hören. Als konkretes Beispiel von gebauter Ideologie wurde die «Juche»-Säule vorgestellt -  ein monumentaler Turm mit einer Fackel als Abschluss. Sie verkörpert die «Juche»-Ideologie (eine nordkoreanische Interpretation des Marxismus-Leninismus).

Frage nach der Moral

 Die Säule in der Innenstadt von Pjongjang steht in einer Sichtachse zum grossen Bau des «Studienzentrums des Volkes». Die Anordnung der Vorträge führte dazu, dass sich den Zuhörern eine geistige Achse zu jener Säule aufdrängte, die Hitler am Münchner Hauptbahnhof als «Denkmal der Bewegung» errichten wollte - zweimal so hoch wie die Türme der Frauenkirche, des dortigen Doms. Auf die Publikumsfrage, ob die Nordkoreaner denn die Architektur der Nationalsozialisten attraktiv fänden, antwortete Jong Myong Ho diplomatisch, jedes Land liebe seine eigene Architektur.

 So sehr sich die Tagung zur «gebauten Ideologie» auf sicherem Terrain befand, was die Geschichte anbelangte, so unsicher zeigte sich die Be- und Verhandlung aktueller Beispiele. Die nordkoreanische Delegation agierte in einem vorgegebenen Rahmen, der auf eine Welt gleich einem fernen Planeten verwies und kritische Annäherungen an die dortige Realität negierte. Auch die Podiumsdiskussion liess die Frage nach der Moral im Beziehungsgeflecht von Macht, Ideologie und Architektur letztlich offen.