Eis

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Geheimnis im ewigen Eis

Nuuk/Grönland (DK) Es gibt zwei geheimnisumwitterte Orte auf Grönland: Der eine ist Thule, ganz oben abgelegen im Norden und dort haben die USA eine Luftwaffenbasis. Immerhin, mit einer Genehmigung des amerikanischen Verteidigungs-und des dänischen Außenministeriums ist ein Zugang möglich. Der andere Ort liegt inmitten des ewigen Eises, das den Großteil von Grönland bedeckt, hat keinen Namen, ist auf keiner Karte verzeichnet und für Normalsterbliche absolut gesperrt. Es sei denn, man ist berechtigter Mitarbeiter des VW-Konzerns, der in der totalen Eiswüste das am besten abgeschirmte Testgelände der Welt betreibt. Denn von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat der Autobauer hier seit knapp einem Jahr seinen Testbetrieb für die Karossen des Mutterhauses, aber auch für Audi und Skoda aufgenommen.

Die einzige Ampel der zu Dänemark gehörenden autonomen Insel steht in der Hauptstadt Nuuk und die Straßen auf Grönland sind kurz, gerade mal ein paar Kilometer lang. Die Ausnahme: Eine 35 Kilometer lange Straße, die sich von dem am Polarkreis liegenden 600-Seelen Ort Kangerlussuaq in die Wildnis zieht, vorbei an scheuen Schneehasen und bulligen Moschusochsen. Sie sind die fast einzigen Bewohner dieser menschenleeren Gegend, in der sich dunkelgrüne Flechten an den Felsen krallen und über die sich weit der arktische Himmel spannt. Wer hier entlangfährt, muss zunächst einige Straßensperren überwinden und steht schließlich doch vor einem unüberwindbaren Hindernis: Mächtig türmt sich das ewige Inlandeis von Grönland auf, ein gigantischer Gletscher, der mit bis zu drei Kilometer Dicke das Land bedeckt. Und in diese weiße Wüste hinein führt eine Art Eispiste und verliert sich in der Ferne - 125 Kilometer lang. Dahinter liegt das Testgelände. VW hat die Region um Kangerlussuaq aus einem einfachen Grund für sein Vorhaben ausgewählt, hier befindet sich einer der zwei internationalen Flughäfen von Grönland. Und der ehemalige amerikanische Luftwaffenstützpunkt mit seinen wenigen Gebäuden verfügt über eine genügend lange Landebahn. Denn mit Großfrachtflugzeugen bringt der Autobauer seine Prototypen hierher, um sie dann auf mächtige Trucks zu verladen und ins ewige Eis zu transportieren. Um auf der Eispiste voranzukommen, wird den Zugmaschinen der Luftdruck in den Reifen reduziert, so fährt es sich weicher mit der wertvollen Fracht.

Das Testgelände selbst besteht aus einem Areal von 50 Kilometer Durchmesser, ein Hotel mit Cafeteria dient der Unterbringung von rund 40 Mitarbeitern, eine 900- Quadratmeter-Werkstatt steht für die Wartung der Erlkönige zur Verfügung. Hinzu kommen ein kleines Kraftwerk, Lager- und Abfallcontainer. Betrieben wird die Anlage von der Firma Nausta, die bereits ein Testgelände in Nordschweden betreut und die Konzession gilt zunächst für zehn Jahre. Eine dreistellige Millionensumme soll VW in die Anlage gesteckt haben.

Getestet werden können hier die zukünftigen Modelle unter idealen Bedingungen - jedenfalls was klimatisch winterliche Verhältnisse anbelangt. Selbst im Hochsommer klettert in Grönland das Thermometer selten über zehn Grad, auf dem Inlandeis kaum über null Grad. Auch Island und Kanada sollen als möglicher Standort für eine Teststrecke im Gespräch gewesen sein, doch das dortige Eis wurde als für nicht hart genug befunden. Wer aber nun glaubt, VW nutze diesen klimatischen Härtetest für die Imagewerbung ("Getestet auf Grönland"), der irrt. Verschwiegenheit ist oberstes Prinzip. VW-Pressesprecher Hans-Gerd Bode: "Wir betreiben damit keine Werbung." Und weitere Angaben zu dem Gelände könnten nicht gemacht werden, aus verständlichen Gründen der Geheimhaltung.

In der Tat ist das Testgelände auch in dieser Hinsicht ideal. Die gefürchteten Erlkönig-Jäger - Profifotografen auf der Jagd nach Details der Prototypen - dürften im Eis stecken bleiben, ein Überfliegen des Geländes ist verboten, neugierige Passanten gibt es nicht. Im hart umkämpften Automarkt, in dem mittlerweile jede Nische besetzt wird, ist die Geheimhaltung jedes noch so kleinen Design-Details mit einer der Überlebensfragen.

Dazu gehört allerdings auch das allgemeine Image der Marke und kein Unternehmen kann es sich heute mehr leisten, als Umweltverschmutzer dazustehen. So mutmaßten Naturschützer, die Geheimhaltung diene auch dazu, eine Diskussion über die Einhaltung vom Umweltstandards in Hinsicht auf das polare Testgelände zu vermeiden. Dies aber weist VW-Sprecher Bode weit von sich: "Die Umweltauflagen werden mehr als eingehalten, das ist für uns absolut selbstverständlich." Rudolf Stumberger


DONAUKURIER , Donaukurier, 22.10.2002, 00:10